Sextourismus

Wo fängt eigentlich der Sextourismus an? Ein Blick auf moralisch vermintes Gelände.
Als sich der französische Maler Paul Gaugin in einer Schaffenskrise befand, suchte er neue Inspiration in der Südsee. Er fand sie und malte dort einige seiner schönsten Bilder. Allerdings ließ er sich dazu auch ausgiebig von der Muse küssen. "Jede Nacht kamen die teuflischen Straßenmädchen in mein Bett. Gestern hatte ich deren drei", schrieb er seinem Freund. Ob Gaugin damit bereits 1895 den Sex-Tourismus entdeckte, ob er für die Mädchen bezahlte - schwer zu sagen. Fest steht, dass er dem Ruf und der Verlockung der Südsee gefolgt war.

Und zwar genau so, wie wir es heute auch tun. Nur, dass wir natürlich behaupten "Land und Leute" kennen lernen zu wollen. Statt Sex mit Einheimischen stehen offiziell die vage formulierten Abenteuer und die so genannte Begegnung mit der fremden Kultur auf unserer Agenda. Denn schließlich verheißen uns Urlaubskataloge neben paradiesischen Stränden und unberührter Natur eben auch unterschwellig die Berührung mit den geschmeidig gebräunten Körpern der Einheimischen.

Kein Online-Angebot, kein Prospekt kommt ohne das Bild einer karibischen oder thailändischen Schönheit aus, die sich versonnen mit Blüten schmückt oder eine frisch geschlagene Kokosnuss feilbietet. Nur das, was diese Bilder verheißen, kann man weder bei Neckermann noch bei L'Tur kaufen.






Trotzdem wissen die seriösesten Veranstalter, dass viele Urlauber unter All Inklusive gerne noch eine Leistung inbegriffen sähen, die sich keiner wagt, im Prospekt in Euro auszuzeichnen. So formuliert Tui die Urlaubs-Information über die Dominikanische Republik dann geschickt: "Überall finden Sie freundliche Menschen, die sich freuen, Ihnen ihr schönes Land zeigen zu dürfen. ... Die reizvolle Landschaft und ihre Bewohner laden zu abwechslungsreichen Unternehmungen ein." Klar: Hier wird dem "Aktiv-Urlauber" empfohlen, sich unbedingt mal die faszinierenden Zuckerrohrplantagen anzusehen.

Der Wunsch nach erotischen Erlebnissen im Urlaub ist ja keineswegs neu. Die ersten, die mit diesem Bedürfnis Geld machen wollten, waren die Ferien-Clubs. Hier werden Alleinreisende solange mit Clowns und Longdrinks animiert, bis sie mit anderen Singles in ihren Cabanas verschwinden. Diese Rechnung geht oft, aber nicht immer auf. Und jene, die nicht zum Zuge kommen, kaufen sich ihr erotisches Abenteuer dann eben im Amüsierviertel.

Der französische Skandalautor Michele Houellebecq ging in seinem Roman "Plattform" deshalb noch ein Stück weiter. Er fragte sich und einen Top-Manager der Tui, warum man nicht gleich mit offenen Karten spiele. Schließlich sei eine intakte Sexualität, die interessanteste Dienstleitung, die Menschen in Dritte-Welt-Ländern ihren Besuchern aus der ersten Welt anbieten könnten. Warum sollte man also nicht auch eine erotische Massage ins Standardprogramm aufnehmen - wie den Begrüßungsdrink und die deutschsprachige Stadtrundfahrt? Das Vorhaben, Sextourismus als offizielles Produkt im Reisemarkt zu platzieren, scheitert im Roman. Im wirklichen Leben wurde es niemals versucht. Vor allem, weil man die seriösen Kunden nicht vergraulen möchte. Dabei böten die Lustsuchenden eine ziemlich potente Zielgruppe.

In Deutschland wird die Zahl jener, die im Urlaub für Abenteuer zahlen wollen, auf jährlich 800.000 geschätzt. Durchschnittsalter 35. Eine Klientel, mit der die Reiseveranstalter offenbar fest rechnen. Anders lässt sich nicht erklären, warum sie ihren Kunden auf dem Weg ins Vergnügungsviertel von Pattaya den guten Rat geben, sich besonders vorsichtig zu verhalten. Wir fragen uns, ob da nicht ein bisschen mehr Ehrlichkeit gut tun würde und fahren dieses Jahr wieder an den Wolfgang-See. Vielleicht geht da ja auch was.

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