Kommunikation in der Ehe
Die klassische Zweierbeziehung kann man getrost als günstigen Nährboden für Projektionen jeder Art betrachten: Nirgends gedeihen sie besser, aber auch nirgends können sie besser erkannt und für die eigene Entwicklung verwertet werden. Wie ein Paar das schaffen kann, hat Moeller in seiner langjährigen Arbeit mit hunderten von Paaren herausgefunden: Im so genannten Zwiegespräch. Ein paartherapeutisches Zwiegespräch unterscheidet sich nämlich vom gängigen Kommunikationsstil unter Paaren ganz erheblich: 1. Es wird ein fester wöchentlicher Termin für das Zwiegespräch vereinbart. 2. Das Zwiegespräch darf nur in Ausnahmefällen länger als anderthalb Stunden dauern. 3. Beide Partner sprechen nacheinander ausschließlich darüber, wie sie die Beziehung subjektiv erleben. 4. Beide verzichten auf Anschuldigungen, Zwischenfragen und Ratschläge. 5. Störungen von außen, z.B. durchs Telefon, müssen vermieden werden. 6. Wenn ein Termin ausfällt, muss ein Ersatztermin dafür bestimmt werden. Mit diesen Regeln kann jedes Paar seine Beziehung schrittweise verändern, und das, ohne einen Therapeuten zu Rate zu ziehen. Bedingung ist allerdings, dass die sechs Grundregeln strikt eingehalten werden. Dass das nicht so einfach ist, wie es sich anhört, belegen Moellers Gesprächs-Protokolle: Die Paare haben anfänglich Mühe, ihre Gefühle auszudrücken und tatsächlich zu ihrem Erleben des Partners zu stehen, ebenso wie viele Menschen erst im Zwiegespräch feststellen, dass sie nie gelernt haben, ihre Bedürfnisse auszudrücken. Wenn das schrittweise gelingt, erlebt das Paar das Zwiegespräch als "Austausch von Selbstporträts".
Wie Streit funktioniert, wissen fast alle Paare, denn er folgt ein paar Grundregeln, die jeder kennt, ohne sie je gelesen zu haben. Man fällt sich ins Wort, lässt den anderen nicht ausreden, beschuldigt, gibt ungebetene Ratschläge, stellt (heimtückische oder bohrende) Zwischenfragen usw. und versteckt in jedem Satz eine Abwertung des anderen. Das ermüdet nicht nur den Sprechenden, sondern auch den Zuhörer. Kein Wunder, wenn die Kommunikation am Ende erlahmt und beide nur noch beredt schweigen. Dass es schlecht bestellt ist um die Kommunikationsbereitschaft zwischen langjährigen Partnern, belegt die Statistik: Ein durchschnittliches Paar spricht täglich weniger als 10 Minuten miteinander! Verstehen sich diese Paare denn so gut, dass sie sich nicht mehr austauschen müssen? Ist ihre Beziehung von wortlosem Verstehen und einer schicksalhaften "gleichen Wellenlänge" geprägt? Der Paartherapeut und Autor M. L. Moeller hat erkannt, dass genau das auf die meisten Paare nicht zutrifft: Sie behaupten zwar, sich in- und auswendig zu kennen, doch ihre Kenntnis übereinander besteht zum größten Teil aus eher vagen Vermutungen und Unterstellungen - aus Projektionen also. Nur so wird erklärbar, dass vor allem langjährige Beziehungen von lächerlich anmutenden Missverständnissen geprägt sind, die jederzeit hätten verhindert werden können - wenn man kommuniziert hätte! Wie sonst sollten wir den klassisch gewordenen Witz über eine Ehefrau interpretieren, die nach dreißig Ehejahren feststellt, dass sie die untere Hälfte ihres morgendlichen Brötchens die ganze Zeit umsonst geopfert hat, weil ihr Ehemann zerknirscht bekennt, dass er ohnehin lieber die obere Hälfte gegessen hätte...
Das in Beziehungen allgemein übliche "Zurückstecken", dessen Lohn eine funktionierende Beziehung sein soll, stellt sich im Lauf von kontinuierlichen Zwiegesprächen nicht nur als überflüssig, sondern sogar als schädlich heraus: Um eine entwicklungsfähige und lebendige Beziehung zum Partner zu erschaffen, sind von beiden Partnern weniger "Opfer" als schrittweise Selbsterkenntnis gefragt - denn wer in der Lage ist, sich selbst zu ändern, verändert damit auch die Beziehung. Lukas M. Moeller hat erkannt, dass die Zuneigung zueinander wächst, je mehr ein Paar wechselseitig voneinander erfährt. Und da Frauen offensichtlich mehr von sich preisgeben als Männer, scheinen sie im Paarleben die geliebteren Wesen zu sein: In einem Drittel aller Ehen wollen die Männer die Beziehung aufrechterhalten, die Frauen aber nicht... Heißt das, dass Männer sich innerhalb der Beziehung mit weniger zufrieden geben als die Frauen? Oder sind es die Frauen, deren maßlose Ansprüche das Leben zu zweit so schwierig macht? Die offensichtlich geringere Angst der Frauen vor einer Trennung hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass Frauen insgesamt mehr Kommunikation betreiben: mit ihren Kindern, mit ihren Freundinnen und innerhalb ihrer Ursprungsfamilie. Das heißt, dass sie sich stärker in Beziehung setzen zu anderen, und deshalb womöglich eher auf einen Partner verzichten können als die Männer, denen es ungleich schwerer fällt, innerhalb und außerhalb der Zweiergemeinschaft über das zu sprechen, was sie bewegt. Wer es schafft, sich durch Zwiegespräche innerlich zu bewegen und bewegen zu lassen, wird sich selbst und den Partner ernst nehmen und sich selbst und ihn nach einiger Zeit neu und anders erleben.